Im Dünkel der Vorstadt

Neben der Geschäftigkeit eines Ortes innerhalb der Stadtmauern sind auch die verschiedensten Gewerke der Vorstädte gleichwohl von Bedeutung. Die Rechtsprechung an diesem Ort bildet hierbei lediglich einen Teil des Städtewesens insgesamt.

 

Der Wilsdruffer Vorstadt sei an dieser Stelle besonders gedacht, da sie das älteste kirchliche Leben Dresdens (Poppitz), die städtische Viehweide (heute um Schützenplatz), frühes Handwerk und den Rabenstein in enger Symbiose miteinander vereint.

Das Wilsdruffer Tor
Das Wilsdruffer Tor

Die Weißeritz ist hierbei Lebensgrundlage schlechthin, zumal sie neben Gerbern und Müllern u.a. die Schinderei mit Wasser versorgte. Alleine Mühlen sind in den Urkunden seit Anfang des 14. Jh. an dieser Stelle mehrere verzeichnet, so die Kernmühle (1391), die Krötenmühle (1437), 1440 die Damm-, 1455 die Stege-, 1478 die Winkel-, 1497 die Kupfer-, die Schleif- und die Spillemühle, 1504 die Hader-, 1518 die Papier-, die Polier-, 1523 die Draht- und 1538 die Hofemühle.

Beachtenswert ist die Verlegung des vormals innerstädtischen Kuttelhofes (Schlachthof; Kuttelgasse, jetzt Galeriestraße) 1447 an die Ecke der Zwingerstraße und Gerbergasse. Weitere interessante Bauten und Gebäude in dieser Gegend sind zudem das Jägerhaus (1468), der Hoffischgarten, die Gasthöfe "Drei Lilien" und "Grauer Wolf", das Schießhaus (1549 lediglich eine provisorische Schießstätte), der Falkenhof (1606) an der Rosengasse und das 1568 mit Unterstützung Kurfürst Augusts gegründete Lazarett am heutigen Wettiner Platz.

Der heutige Freiberger Platz, vormals aufgrund eines mit der Zeit trocken gelegten Tümpels als Entenpfütze bekannt, war zu jener Zeit ringsum mit kleineren Häuschen, Gärten und Äckern bebaut gewesen. 

Wichtigstes Bauwerk dieses Platzes stellte die Bartholomäuskirche dar, zu welcher Gemeinde auch der Scharfrichter seit ca. 1530 gehörte. Die Kirche / Kapelle wurde seit Anfang des 15. Jh. mehrfach umgebaut und erweitert, bevor sie jedoch zu klein wurde und mehr und mehr in der durch Kurfürstin Anna (1578) angeregten und neugegründeten Annengemeinde (Annenkirche) aufging.

Gleichfalls zwei Hospitäler, das Bartholomäushospital sowie das Jacobshospital sind seit frühester Zeit fester Bestandteil des täglichen Miteinanders in der Wilsdruffer Vorstadt. Ersteres, erwähnt 1337 als sichen uf der Vyweide bzw. in den Jahren danach als Hospital bie unser stat Dresden uf der Wyweide gelegin, und erst Mitte des 15. Jh. nach der nahegelegenen Kapelle St. Bartholomäe benannt war zeitweise u.a. für aussätzige Frauen bestimmt und nach Beschuss, Erneuerungen und Verfall 1838 zum Abbruch freigegeben. 
Das neue Spitals S. Jacoff zu Dresden, ursprünglich nur eine Nachtherberge für arme Reisende, welche die dem hl. Jacob geweihte Kapelle des Hospitals, einen bekannten Wallfahrtsort, besuchten, wird zuerst 1455 urkundlich erwähnt und befand sich an der heutigen Annenstraße. Da die Gebäude des Hospitals baufällig geworden waren, ließ Herzog Georg sie 1535 abbrechen und in größerem Umfange an derselben Stelle neu errichten. Es diente so über Jahrzehnte der Unterbringung armer oder altersschwacher Menschen, war zeitweise gar Armenhaus bzw. in den letzten Jahren des Bestehens gar Zwangsarbeitsanstalt, bis es 1859 endgültig abgetragen wurde. 

Heute befindet sich an der Stelle der ehemaligen Batholomäuskirche ein Kindergarten, den Freiberger Platz "schmückt" ein Parkplatz und den Platz des Jacobshospitals zieren eine Post und ein Konsum.

Die Wilsdruffer Vorstadt
Die Wilsdruffer Vorstadt

Wo aber war nun der Scharfrichter zu Hause, wo der über Jahrhunderte hier bestehende Rabenstein?

Vormals abseits der Stadtbefestigung sind auf Luftbildaufnahmen auch die letzten Spuren der wohl ältesten bekannten Richtstätte Dresdens mittlerweile verwischt. Nur noch auf älteren Stadtplänen finden sich Hinweise durch die Bezeichnung "Am Rabenstein". Diese ehemals mannshohe aufgemauerte Erhöhung, welche auf einer Seite mit einer Treppe versehen war, befand sich zusammen mit einem Galgen zwischen Freiberger Platz und Wettiner Platz Ecke Ermischstraße, vormals Stiftsgasse, ein Teil der Freiberger Straße deshalb vormals auch Schindergasse genannt.

Quellen deuten darauf hin, dass nicht erst seit der 1308 geltenden Wein- und Schankordnung eine Richtstätte in Dresden bestanden hat. Erst 100 Jahre später und zu einem Zeitpunkt, als ein noch älterer Galgen wiederum reparaturbedürftig wurde, erfahren wir von der Existenz eines solchen:
1402: dem czuchtiger ... 1 sex. gr. 6 gr. et 8 gr. von eyme, den er hing bzw.
1409: Ausgaben pro edificio: Item von dem galgen 3 sex. 48 gr.

Der Standort der ältesten schinderey ist nur indirekt belegbar. Erst 1494/95 findet sie Eingang in die Annalen an der Elbe, d.h. nach dem großen Stadtbrand vom 15. bzw. 16. Juni 1491, wobei ein Großteil der Stadt den Flammen zum Opfer gefallen war. Auffallend hierbei ist, dass zu jener Zeit der Henker noch innerhalb der Stadtmauern im Loche wohnte. Die schyndereye (1480) hingegen ist zu jener Zeit bei dem Schlosse zusammen mit dem schuczehauße (1481) und der saltzschewn (1505) zu finden.

1522 spricht man nur noch von der alde hengerey (3 1/2 ß Jacob Hornig vor eynen raum zu tzween hoffesteten, da dy alde hengerey gestanden.) Auch 1528 ist das alde des uffdeckers haus bey der saltzscheune an der Elbe durch Quellen belegbar, wie 1529: 4 gr. dem bruckemeister von der schinderey vor der stadt an der Elben gezahlt wurden.

Eine Verlegung der Schinderei wird erst mit dem Aus- und Neubauwillen der Stadt durch Herzog Georg dem Bärtigen (1500-39) seit 1519 nachvollziehbar. 

Beginnend beim Wilsdruffer Tor wurde die Befestigung Neu-Dresdens durch Aufwerfung von Wällen und Schaffung von Wassergräben vorangetrieben, wobei ebenso wie das Schützenhaus auch die Schinderei erstmalig nach weiter außerhalb (Nähe Grüne Gasse bzw. der "Viehweide") verlegt wurde.
Die Dresdener Geschichtsblätter von 1921 beschreiben die Lage der Hengerey nördlich des Kupferhammers, einerseits die Rosengasse, andererseits die Freiberger Straße an Müllers scheun vorüber nach dem Freiberger Platze. 

Wann genau der Scharfrichter seinen Wohnsitz vom Loche nach außerhalb der Stadtmauern verlegt hat bzw. verlegen musste, ist aus den wenigen zur Verfügung stehenden Quellen nicht mehr ersichtlich. Bei der Hengerey gewohnt haben kann er jedoch nur relativ kurze Zeit, denn:

Am 2. April 1614 Nachmittags 4 Uhr brach in der Küche des Falkenhofes Feuer aus, wodurch dessen sämmtliche Gebäude eingeäschert wurden. Da an dem Tage gerade ein starker Wind wehte und die vielen Stroh- und Schindeldächer leicht entzündbar waren, verbreitete sich das Feuer mit großer Schnelligkeit und sprungweise, so daß oft näher liegende Gebäude verschont blieben, während die entfernter gelegenen in Flammen aufgingen. Es waren im Ganzen 66 Häuser und 32 Scheunen vernichtet worden, und zwar in der Josephinengasse 4 Häuser, in der kleinen Plauenschen Gasse 12, in der großen Plauenschen Gasse 17, an der Dippoldiswalder Straße 9, hinter dem alten See, etwa zwischen Reitbahnstraße und Bürgerwiese, 13 und in Poppitz selbst 11, darunter das des Scharfrichters Christoph Polz. Es wurde dem Scharfrichter nicht gestattet, sein Wohnhaus in Poppitz wieder aufzubauen, sondern angeordnet, daß er die Baustelle verkaufen und die Scharfrichtereigebäude vor der Stadt (an der Stelle, wo jetzt die Siemens'sche Glasfabrik steht), wo er auch seine Knechte untergebracht hatte und die Abdeckerei betrieb, beziehen sollte. Da die Scharfrichtereigebäude sich nicht in gutem Zustande befanden, wurde befohlen, sie wieder vorzurichten. Der Scharfrichter bat zwar um Erlaubniß, an einer anderen Stelle, etwas weiter von der Stadt entfernt, ein Haus für sich erbauen zu dürfen, aber der Amtsschösser und der Rath wurden mit Erfolg dagegen vorstellig. Von da an scheinen die Scharfrichter die Kavillerei bewohnt zu haben; es war nur eine Ausnahme gewesen, daß der Vorgänger des Scharfrichters Polz in der Stadt hatte wohnen dürfen.

Die nachfolgenden Jahrzehnte finden wir die Meisterey (auch Grüne Schinderey genannt) weit vor der Stadt in der Nähe des Ebertplatzes. Bestehend aus Wohnhaus, Wasch- und Backhaus, einem Schweinestall und anderen Gebäuden, wie dem Schmelzhaus, der Fettkammer, dem Lederboden und dem Fraßschuppen wird der eigentliche Broterwerb des Scharfrichters und seiner Knechte klar: es beinhaltet die Abdeckerei. In den kommenden Jahren erfahren wir mehrfach von Beschwerden wegen heßlichem Gestank bzw. gar von Konkurrenz seitens fachfremder Gewerke. Um Kosten zu sparen, übernahmen verschiedene dem Caviller zugeteilten Dörfer selbst die Verwertung toten Viehs. Erst politische Geschehnisse rund um die Schlacht bei Dresden am 26./27. August 1813 und die nachfolgende Belagerung durch die Franzosen bringen nicht nur die Abdeckerei ins Rampenlicht der Geschichte. So erfahren wir: In dem Raume zwischen den Preußen und dem Plauenschen Grunde gingen Österreicher vor, die das Dorf Plauen und alle Gehöfte bis an die Freiberger Straße nahmen, ebenso jenseits des Grundes Löbtau. Um den Franzosen keine weitere Angriffsfläche zu bieten, brannte man die Abdeckerei am 01.11.1813 nieder - wurde aber wieder aufgebaut und war noch bis 1856 in Betrieb.

Doch auch ein weiterer Richtplatz soll an dieser Stelle Erwähnung finden, welcher besonders für ein Vergehen in Gebrauch war: Kindsmord. Auf der Augustusbrücke angebracht, diente oberhalb des größten Bogens ein hölzerner Balken zur Hinrichtung von Kindsmörderinnen, welche der Sack zuerkannt und meist zusammen mit einem Hund, einer Katze, einer Schlange und einem Hahn in diesen eingenäht - in die Elbe geworfen wurden. Einen ebenso grausigen Tod erlitten vor dem Wilsdruffer Tor wegen Ketzerei und Zauberei verurteilte Frauen und Männer, welche verbrannt und noch vor Ort verscharrt wurden.

Ein Verzeichnis der Richtstätten innerhalb der heutigen Stadtgrenze ist dagegen noch lückhaft. Bekannt sind Hinrichtungen an der Blasewitzer Str. (Tatzberg; ein hölzerner Galgen - errichtet 27.11.1737 - auf einer drei Ellen hohen Bühne), am Langebrücker Weg, ein Richtplatz in Leuben, an der Radeberger Str. (1732-1737) sowie der "Galgenberg" in Dresden-Nickern. 
Die Planung eines Richtplatzes in Dresden-Plauen (Ecke Schopenhauer-/Coschützer Str.) scheiterte 1738 am Widerstand der Gemeinde und so wurde dieser auf Löbtauer Flur verlegt. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den am 21. Juli 1741 errichteten Galgen an der Freiberger Straße, jenseits der Weißeritz.

Die noch grausamere Hinrichtungsart des Pfählens ist in Sachsen, d.h. in den Grenzen der Markgrafschaft Meißen, nicht praktiziert worden. Allerdings finden sich in den ehemals böhmischen Besitztümern auf heutigem sächsischen Gebiet zahlreiche Belege hierfür.